In Deutschland gibt es gerade eine interessante Diskussion. In einem unvorsichtigen Moment hat die Bundesregierung durchblicken lassen, das sie kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr für ein gutes Mittel zur Reduktion von CO2-Ausstoß und Feinstaubbelastung hält. Nachdem die Medien das Thema begierig aufgegriffen haben, ist sie gleich wieder ein Stück zurückgerudert. Man habe das nur als einen von sechs Vorschlägen nach Brüssel geschickt und warte einmal auf die Reaktion von dort.
Aber – und das ist das Gute daran – die Diskussion nimmt ihren Lauf. Was von verschiedenen Kleinparteien oder Bürgerinitiativen immer wieder vorgeschlagen und als „Spinnerei“ abgetan wurde – Wien andas fordert zB „Schwarzfahren für alle„, hier gibt es ein ausgefeiltes Konzept dazu -, wird plötzlich wie ein ernsthafter Vorschlag behandelt und das ist schon ein großer Erfolg für die Sache.
Die vielen Beiträge in deutschen Zeitungen und sogar im österreichischen Standard sind leicht auffindbar (zb hier und hier ) ich muss sie hier nicht alle verlinken. Womit ich mich aber genauer befassen will, sind die Gegenargumente, weil die nämlich viel damit zu tun haben, wie wir uns unsere Welt denken können – und wo es eben einen Paradigmenwechsel brauchen würde.
Denn, dass es funktionieren kann, das sieht man an gar nicht so wenigen Städten, in denen es kostenlose Öffis schon länger gibt, wie man hier sehen kann. Einige Bürgermeister sagen, es komme der Stadt sogar billiger. Auch der Autor dieses Beitrags meint, es rechne sich. Wie man das gegenrechnet, was man dafür an Autoinfrastruktur, Fahrscheindruck und -verkauf und Kontrollen einspart, wie hoch man den Rückgang der Umweltbelastung bewertet, darüber lässt sich sicher streiten.
Warum aber meinen Kritiker, das sei keine gute Idee?
Da ist einmal das „was nichts kostet, ist nichts wert„, das kann doch nur bedeuten, dass das dann von den Menschen nicht wertgeschätzt würde. Wie kommt es aber dann, dass der gleiche Autor meint, das würde nicht gehen, weil dann zu viele Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen würden – werden sie also doch wertgeschätzt? Was nichts kostet, ist nichts wert, das ist keine allgemein menschliche Haltung, sondern das ist einer Denkweise geschuldet, die „Wert“ nur finanziell denken kann. Wenn man Menschen fragt, was für sie am wertvollsten ist, nennen sie selten Dinge, die viel Geld kosten, sondern Dinge wie Familie, Freunde, Gesundheit, Natur – alles Dinge, die man „geschenkt“ bekommt. Abgesehen davon scheint der Autor dieses Artikels hauptsächlich die Meinung zu vertreten, alles was „öffentlich“ ist, funktioniere sowieso nicht und daher könne dieser Traum nur in einem Alptraum enden. Soweit kommt es noch, dass die Bundesregierung selbst am Dogma der Marktwirtschaft rüttelt!
In der Zeit gibt es eine Pro und Contra Diskussion, hier ist das leitende Gegenargument
Die Idee ist schlecht: Wer mit Bus oder Bahn fährt, soll auch dafür zahlen. Sonst kollabiert der gesamte Verkehr
Ach ja, könnte es sein, dass derzeit der Autoverkehr so überhand nimmt, weil wer die Straßen benutzt dafür nicht bezahlen muss? Und warum sollen nicht alle dafür bezahlen, dass es reinere Luft gibt?
Und dann wird doch tatsächlich das uralte und längst widerlegte Argument von der Tragik der Allmende bemüht – hört das denn nie auf? Dass man für Öffis nichts bezahlt, heißt ja noch lange nicht, dass dort jeder tun und lassen kann was er will. Aber zumindest sieht dieser Autor ein, dass Autofahren teurer werden müsste.
Es ist auch jedem klar, dass öffentlicher Verkehr Geld kostet. Die Frage, die mit allen Beteiligten zu klären ist, ist woher kommt das Geld und wie kann man die sozialen und ökologischen Vorteile des öffentlichen Verkehrs optimal nutzen und den individuellen Autoverkehr einschränken – möglicherweise ist das aber die Angst, die hinter der Ablehnung steckt: dass die Nutzung des eigenen Autos eingeschränkt werden könnte?
Und überhaupt: wenn alle Kritiker meinen, wenn alle Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen würden, dann wären diese hoffnungslos überlastet, dann muss man sich doch ein paar grundsätzlichere Fragen stellen: Warum sind sie nicht besser ausgebaut? Warum müssen wir überhaupt so viel fahren? Warum stehen die Einkaufszentren am Stadtrand und nicht dort wo die Menschen wohnen? Warum stehen in der Stadt so viele Wohnungen leer und die Leute wohnen auf dem Land und brauchen Verkehrsmittel oder ein Auto?
Das Thema kostenloser öffentlicher Verkehr ist also komplexer als es auf den ersten Blick scheint, aber es ist ein guter Ausgangspunkt für Fragen um zukunftsfähige Gesellschaften – also weiter so!
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